Sonntag, 18. Mai 2014

Mia`s Gespräche...

Einmal las ich auf einem „Kotzratgeber“, dass das Schöne an der Bulimie sei, dass man essen kann, was man will, und dass sie deswegen eine konkurrenzlose (im Sinne der Wirksamkeit) Diät wäre. Es kann ziemlich bescheuert klingen, aber genau durch diesen Gedankengang bin ich auf sie gekommen. Irgendwann – ich war 12 - bin ich Mitte der Nacht aufgestanden und konnte nicht wieder schlafen. Ich ging ins Wohnzimmer und machte den Fernseher an. Ein merkwürdiger Film lief. Es handelte sich – wenn ich mich noch genau erinnere – um die Geschichte eines Mannes, der an Magenkrebs litt. In einer Szene sagte er, er dachte, sein ständiges Erbrechen wäre einfach eine effektive Abnehm-Methode. Am nächsten Tag habe ich ganz gezielt eine Menge Süßigkeiten verputzt und die Sache nahm seinen Lauf... Für mich ging es bloß um das Rückgängig-Machen eines Prozesses, um seinen Folgen (besonders Gewichtzunahme) zu entgehen – im Grund hat sich daran, was meine Haltung dazu betrifft, kaum etwas geändert. ABER: Bulimie ist in der Tat keine Methode zur Gewichtsreduktion – man wird nie alles erbrechen, was man zu sich genommen hat, und die Wahrscheinlichkeit ist viel großer, dass man nach vielen FA sogar zunimmt!
Erbrechen ist – nach der Definition von Wikipedia - eine schwallartige Entleerung des Magen- und/oder Speiseröhreninhaltes entgegen der natürlichen Richtung d.h. durch die Speiseröhre und den Mund. Erbrechen wird durch einen komplizierten Fremdreflexmechanismus vom Brechzentrum in dem Hirnstamm ausgelöst. Beim Brechreflex sind Hirnnerven, Nerven der Atemwege, Nerven für die Bauchmuskeln und das Zwerchfell aktiviert. Erbrechen ist eine kluge Strategie der Evolution, aber einer Naturgewalt ähnlich: Eine Unzahl von Muskeln wird angespannt, die Herzrate erhöht sich, das Blut wird im Gehirn konzentriert, die Sehschärfe steigt kurzfristig. Der Energieverbrauch ist beachtlich.
Erbrechen kann sogar zum therapeutischen Zweck herbeigeführt werden, ist aber prinzipiell ein natürlicher Vorgang oder – besser gesagt – eine natürliche Re-Aktion des Körpers. Aufgrund dieser Natürlichkeit geht man davon aus, dass es diesbezüglich nichts zum Lernen gibt. Das stimmt aber nicht. Denn hier handelt es sich darum, die Natur zu „kopieren“, was eine Kunst ist.
Ich möchte keineswegs jemanden belehren. Mit über 20 Jahren Erfahrung denke ich aber, in der Lage zu sein, besonders Anfängern einige Tipps zu geben und einige Missverständnisse und Mythen aus dem Weg zu räumen.

Stichwort: Reihenfolge
Viele Menschen gehen davon aus, dass die Nahrungsmittel in einer Reihenfolge aufgenommen und in der ungekehrten erbrochen werden. So würde man die Sahnetorte, die als Nachtisch gegessen wurde, vor dem Salat erbrochen werden, den man als Vorspeise zu sich genommen hat. Aufgrund dieser Vorstellung bestehen einige Bulimiker sogar darauf, „gesunde Lebensmittel“ am Anfang eines FA zu essen, nämlich in der Hoffnung, sie würden dadurch den Magen so füllen, dass die Schoko-Tafel, die am Ende gegessen werden, schneller herausgespült werden würden.
Nach diesem Prinzip arbeitet der Magen aber nicht. Das, was zuerst verarbeitet werden soll, hängt nicht von der Reihenfolge der Nahrungsaufnahme ab, sondern von der Einfachheit der Verarbeitung selbst. Je aufwendiger die Verdauung eines Lebensmittels, je später wendet sich der Magen an es. Zudem ist der Körper (evolutionsbedingt) gierig nach schneller Energie, so dass je mehr Zucker, desto schneller die Verarbeitung. Gemüse und Obst mit viel Ballaststoff und wenigen Kalorien sind vom Magen am schwersten zu verdauen und bleiben bis zum Ende unangetastet.

Stichwort: Timing
Der richtige Zeitpunkt für das Erbrechen nach einem FA ist nicht leicht zu bestimmen. Wenn es sich um einen geplanten FA geht (ich habe meine FA fast immer sorgfältig geplant!!!), hat man verständlicherweise Kontrolle über den Zeitpunkt. Handelt es sich aber um einen nicht-geplanten bzw. nicht-gewollten FA, ist der innere Drang viel größer – oder besser: Man hat dann mit einem inneren Drang zu tun, nicht mit einem Vorhaben.
Man soll nicht vergessen, dass man in den meisten FA relativ schnell isst und nicht viel kaut. Versucht man kurz nach der Nahrungsaufnahme zu erbrechen, wird man ev. mit großen Brocken zu kämpfen haben, die nicht nur die Speiserohre verletzen können, sondern auch in einer gefährlichen Stelle stecken bleiben können. Wenn man andererseits zu lang wartet, wird es wahrscheinlich so sein, dass ein Teil der Nahrung schon verarbeitet wurde und nun in Fettreserven umgewandelt wird.
Im Allgemeinen gilt eine halbe Stunde Wartezeit als sinnvoll – wenn man es aushält.

Stichwort: Stellung
Als ich angefangen habe, mich mit Bulimie auseinander zu setzten, habe ich festgestellt, dass die meisten Bulimiker (angeblich) gekniet erbrechen. Das habe ich nie getan. Ich erbreche immer stehend mit gebeugtem Körper, so dass mein Kopf der Kloschüssel nah ist.
Warum man knien sollte, kann ich nicht nachvollziehen. Ich habe einmal in einer Notfall-Ambulanz einen Mann gesehen, den die Ärzte therapeutisch zum Erbrechen brachten, und die Ärzte haben ihn genau gesagt, er sollte stehen und nur den Körper nach vorn beugen. Bei der Angelegenheit habe ich auch die Hilfsmaßnahme gelernt, die für mich am effektivsten ist: Zwischen 500 und 1000 ml warmen Wassers zu trinken und erst nach Aufstoßen der Luft die Finger in Hals zu stecken. Der Vorgang ist mehrfach zu wiederholen. Je mehr Wasser, je höher der Druck auf die Magenwände und je schneller erbricht man. Jedoch muss man auch hier Maß finden: Ist der Magen voller Wasser und es gibt keinen Würgereflex mehr, ist das Gefühl beinah unerträglich.
Achtung: Wasser mit Salz wurde früher in der Medizin verwendet, um Erbrechen zu provozieren, wird aber heute aufgrund Blutdruckprobleme u.a. meines Wissens nach nicht mehr oft angewendet.

Stichwort: Ort
Ort ist normalerweise das Letzte, was man zwecks Erbrechens wählen kann. Man geht auf die Toilette und sie ist, wie sie ist. Die Regel lautet, so nah mit dem Gesicht an die Wasserfläche zu kommen, wie es möglich ist, wenn man die Spritzflecken vermeiden oder reduzieren möchte. Man soll aber auf die Wasseroberfläche Toilettenpapier legen, damit der Aufprall auf das Wasser gedämpft wird.
In öffentlichen Lokalen, wo keine große Sauberkeit gewährleistet wird, gilt es, besonders vorsichtig zu sein. Nichts direkt anzufassen (nur mit Hilfe von Papier, Taschentüchern etc.), ist schon zu empfehlen. Wenn man kein Wasser in unmittelbarer Nähe hat, soll man viel Papier bei sich haben, um Hand und Gesicht gut sauber zu machen.
Egal, wo man erbricht, ist es wichtig, am Ende alles sauber zu machen. Es geht nicht nur darum, das Geheimnis zu bewahren, sondern die anderen Menschen, welche die Toilette benutzen oder putzen werden, zu respektieren.

Stichwort: Geräusche
Lautloses Erbrechen ist ein Mythos. Man lernt im Lauf der Zeit, weniger Geräusch zu machen, weil man im Halsbereich Teil der Empfindlichkeit verliert und dadurch wenige Krämpfe bei der Auslosung vom Brechreflex hat. Um ein eher ruhiges Erbrechen zu provozieren, benutzt man am besten zwei Finger und zwar so, dass man sie ganz tief in den Rachen schiebt und den hintersten, dicksten Teil der Zunge, die Zungenwurzel (Radix linguaegenannt) direkt beruht.
Aber man muss damit rechnen, dass die durch das Erbrechen erzeugten Geräusche noch laut genug sein können, um von Menschen in unmittelbarer Nähe wahrgenommen zu werden. Einzige wirklich wirksame Maßnahme, um das Geschehen zu maskieren, ist eine Überdeckung der Geräusche des Vorgangs durch noch lautere: Musik, Dusche etc. Diese Maßnahme ist aber in der Regel nur zu Hause anzuwenden.

Stichwort: Hilfsmittel
Laut Wikipedia gibt es nur drei Mittel, die zur Induktion therapeutischen Erbrechens angewendet werden können: Ipecacuanha-Sirup (Sirup einer südamerikanischen Pflanze), Apomorphin (Morphin-Derivat) und Kochsalzlösung. Von den drei ist nur das letzte frei zugänglich und genau es wird wegen möglicher Natrium-Vergiftung nicht mehr medizinisch empfohlen!!! Auch wegen möglicher Natrium-Vergiftung ist von dem Trinken vom Kaffee mit Salz als Brechmittel dringend abzuraten!!! ALSO:Finger weg von allem, was nicht rein mechanisch wirkt, besonders wenn das Risiko allergischer Reaktionen oder Vergiftung vorhanden ist!!!
Wenn Sie unbedingt erbrechen müssen, wenden Sie folgende Maßnahme an (sie wurde schon oben beschrieben): Zwischen 500 und 1000 ml warmen Wassers trinken und erst nach Aufstoßen der Luft die Finger in Hals stecken. Den Vorgang mehrfach wiederholen.
Variationen dieser Methode ist die „Kohlensäure-Methode” – Das warme Wasser wird durch Sprudel-Wasser ersetzt, so dass die Kohlensäure noch mehr Druck auf die Magenwände ausübt. Der erste Schwall des Erbrechensvorgangs ist dadurch sehr intensiv und lang, so dass man in der Lage sein muss, die Luft anzuhalten, bis der erste Schwall draußen ist, um sich nicht zu verschlucken bzw. Mageninhalt in Atemweg zu verleiten (das, was extrem gefährlich ist). Darüber hinaus sind die Geräusche bei der Anwendung dieser Methode auch dementsprechend lauter.
Von der so genannten „Bauch-Press-Methode“ rate ich persönlich ganz ab. Hier handelt es sich um eine Art „Massage“, die durch Druck „Turbulenzen“ im Magen auslösen sollMan drückt mit beiden Händen (die linke Hand von der linken Seite aus, die rechte Hand von der rechten aus) den Bereich oberhalb der Schamhaargrenze und führt schnelle, ruckartige und heftige Bewegungen nach oben aus, so dass der Nabel von der Bauchdecke überlappt wird. Ich konnte nie Wirksamkeit bei Anwendung dieser Methode feststellen, Verletzungen kommen oft vor und bei Schwangerschaft kann sie anscheinend erhebliche Schaden einrichten.
Übrigens weiß ich, dass manche Bulimiker auf die “Ekel-Methode” setzen.Evolutionsbedingt löst Ekel bei den meisten Menschen einen natürlichen Brechreiz aus. Jedoch wer, der schon seit längeren Zeiten, vielleicht Jahren regelmäßig erbricht, hat den Ekel zumindest vor dem Erbrochenen überwunden.

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